Bei Service-Fehlern fragen sich Unternehmen: Macht Liebe blind oder wird aus Liebe Hass?!
Ist es für Unternehmen vorteilhaft, wenn sich Ihre Kund:innen stark an sie gebunden fühlen? In guten Zeiten: Ja! In schlechten Zeiten: Es kommt darauf an!
Betrachten wir mal schlechte Zeiten. Diese treten für Unternehmen jedenfalls ein, wenn bei einem ihrer Produkte oder Dienstleistungen ein Fehler auftritt. Sei es ein falsch geliefertes Produkt, ein vegetarisches Sandwich, in dem eh nur Putenfleisch enthalten ist, eine unfreundliche Kellnerin, ein unmotivierter Verkäufer oder eine lange Wartezeit am Amt. All das sind Beispiele von Service-Fehlern. Quasi alle erwachsenen Menschen haben schonmal einen oder mehrere Service-Fehler erlebt.
In der Wissenschaft wurde und wird die Frage, ob sich hohe Beziehungsstärke – also der Wunsch der Kund:innen das positive Verhältnis zum Unternehmen lange aufrecht zu erhalten – bei Service-Fehlern positiv oder negativ auswirkt, ausgiebig diskutiert und untersucht. Ein Teil der Forschungsergebnisse deutet auf einen positiven „Liebe-macht-blind“-Effekt hin, andere Forschungsergebnisse zeigen einen negativen „Liebe-wird-Hass“-Effekt.
Clemens Hutzinger (Privatuniversität Schloss Seeburg) und Wolfgang Weitzl haben vergangene Service-Fehler als wichtige Erklärung für das Auftreten dieser Effekte identifiziert. Vergangene Service-Fehler sind die Anzahl jener Service-Fehler, die Kund:innen mit dem Unternehmen erlebt haben, das in den aktuellen Service-Fehler involviert ist. In ihrer aktuellen Studie, welche in Internet Research erschienen ist, untersuchen sie die Racheabsichten von Kund:innen, die sich nach einem Service-Fehler auf Social Media des Unternehmens beschwert haben. Racheabsicht bezieht sich auf die Neigung der Konsument:innen das Unternehmen anderen gegenüber schlecht zu reden und abzuraten, etwas vom Unternehmen zu kaufen. Ihre Studie ist die erste, die gleichzeitig die frühere Kund:innen-Unternehmens-Beziehung, vergangene Service-Fehler und die kommunikativen Beschwerde-Antworten des Unternehmens kombiniert.
Die Ergebnisse zeigen, dass Kund:innen, die sich stark an das Unternehmen gebunden fühlen, im Falle von keinen vergangenen Service-Fehlern bei einem aktuellen Service-Fehler weniger rachsüchtig sind, als Kund:innen, die sich nicht stark an das Unternehmen gebunden fühlen. In einer solchen Situation tritt also ein „Liebe-macht-blind“-Effekt ein. Gab es jedoch in der Vergangenheit viele Service-Fehler, dann sich Kund:innen, die sich stark an das Unternehmen gebunden fühlen, mehr rachsüchtig, als jene, die sich nicht stark gebunden fühlen. Hier sieht man klar den „Liebe-wird-Hass“-Effekt. Die Effektivität der kommunikativen Beschwerde-Antworten des Unternehmens ist sehr überraschend: Gab es keine vergangenen Service-Fehler, dann lassen sich sowohl die Kund:innen, die sich stark und nicht stark an das Unternehmen gebunden fühlen, besser mit entgegenkommenden Antworten beruhigen (z.B. Entschuldigung und Erklärung) als mit verteidigenden Antworten (z.B., anderen die Schuld geben). Erlebten die nicht stark gebundenen Kund:innen in der Vergangenheit mit dem Unternehmen viele Service-Fehler, dann werden die entgegenkommenden Antworten plötzlich ineffektiv. Hatten stark gebundene Kund:innen jedoch viele vergangene Service-Fehler, dann erhöht eine entgegenkommende Antwort jedoch ihre Racheabsicht im Vergleich zu verteidigenden Antworten. Diese Erkenntnis, dass eine Entschuldigung des Unternehmens in solch einer Situation schlecht ist, widerspricht ganz klar dem Hausverstand. Somit liefert die Studie wichtige Erkenntnisse für Wissenschaft und Praxis.
Weitere Details und Kommentare zur Veröffentlichung sind auf LinkedIn. Der von der Uni Seeburg ermöglichte Volltext zum Artikel, inkl. der verwendeten Aussagen im Fragebogen und eines Entscheidungsbaums, in dem die Ergebnisse für die Praxis übersichtlich aufbereitet sind, findet sich hier.